BGH-Entscheidung | Eigenbedarf: Unzumutbarer Härte muss eingehender geprüft werden

Das betagte Ehepaar ist seit 1997 Mieter einer Dreieinhalbzimmerwohnung im Erdgeschoss eines Mehrfamilienhauses. Der (im Verlauf des Rechtsstreits verstorbene) Vermieter kündigte das Mietverhältnis mit der Begründung, dass er die Wohnung für die vierköpfige Familie seines Sohnes benötige, der bisher die im Obergeschoss liegende Wohnung bewohne und beabsichtige, diese Wohnung und die Wohnung der Beklagten Mieter zusammenzulegen, um zur Beseitigung der bislang beengten Wohnverhältnisse mehr Wohnraum für seine Familie zu schaffen.

Die Mieter widersprachen der Kündigung und machten unter anderem geltend, der Sohn könne mit seiner Familie alternativ die leer stehende Dachgeschosswohnung nutzen. Jedenfalls könnten sie - die Beklagten - die Fortsetzung des Mietverhältnisses aufgrund persönlicher Härte verlangen, da der im Jahre 1930 geborene Ehemann zahlreiche gesundheitliche Einschränkungen habe und an einer beginnenden Demenz leide, die sich zu verschlimmern drohe, wenn er aus seiner gewohnten Umgebung gerissen würde. Bei einem Verlust der bisherigen Wohnung sei ein Umzug in eine Altenpflegeeinrichtung nicht zu umgehen; insoweit lehne es die noch rüstige Ehefrau aber ab, sich entweder von ihrem Mann zu trennen oder selbst in ein Altenpflegeheim zu ziehen.

Die von den Erben des bisherigen Vermieters weiterverfolgte Räumungsklage hatte in den Vorinstanzen Erfolg. Der BGH entschied jetzt zu Gunsten der Eheleute und sparte nicht mit Kritik in Richtung Amtsgericht und Landesgericht. Beide hätten sich darauf beschränkt, den Vortrag der Mieter zu den Härtegründen formal als wahr zu unterstellen und anschließend zu dem Ergebnis zu gelangen, dass diese Härten keinesfalls Vorrang gegenüber den Interessen der Vermieterseite verdienten. Die Gerichte haben es jedoch unterlassen, sich inhaltlich mit der zum Ausdruck gekommenen existenziellen Bedeutung der Beibehaltung der bisherigen Wohnung in der gebotenen Weise auseinanderzusetzen.

Gerade bei drohenden schwerwiegenden Gesundheitsbeeinträchtigungen oder Lebensgefahr sind die Gerichte aber verfassungsrechtlich gehalten, ihre Entscheidung auf eine tragfähige Grundlage zu stellen, Beweisangeboten besonders sorgfältig nachzugehen sowie den daraus resultierenden Gefahren bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen hinreichend Rechnung zu tragen. Macht ein Mieter - wie hier - derart schwerwiegende gesundheitliche Auswirkungen eines erzwungenen Wohnungswechsels geltend, müssen sich die Gerichte bei Fehlen eigener Sachkunde mittels sachverständiger Hilfe ein genaues und nicht nur an der Oberfläche haftendes Bild davon verschaffen, welche gesundheitlichen Folgen im Einzelnen für den Mieter mit einem Umzug verbunden sind, insbesondere welchen Schweregrad zu erwartende Gesundheitsbeeinträchtigungen erreichen können und mit welcher Wahrscheinlichkeit dies eintreten kann. Erst dies versetzt die Gerichte in einem solchen Fall in die Lage, die Konsequenzen, die für den Mieter mit dem Umzug verbunden sind, im Rahmen der nach § 574 Abs. 1 BGB notwendigen Abwägung sachgerecht zu gewichten.

Somit ist der Auszug zunächst vom Tisch, das Landgericht muss erneut verhandeln.

BGH-Pressemitteilung zu VIII ZR 270/15

aktuelle Urteile

BGH - Kündigung wegen verweigerter Duldung von Erhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen

Unter welchen Voraussetzungen kann ein Vermieter von Wohnraum das Mietverhältnis durch Kündigung beenden, wenn sich der Mieter weigert, notwendige Instandsetzungsarbeiten an der Mietsache zu dulden und dem Vermieter bzw. den von ihm beauftragten Handwerkern hierzu Zutritt zu gewähren.
Der BGH entschied, dass eine auf die Verletzung von Duldungspflichten gestützte Kündigung des Mietverhältnisses (§ 543 Abs. 1 BGB*) nicht generell erst dann in Betracht kommt, wenn der Mieter einen gerichtlichen Duldungstitel missachtet oder sein Verhalten "querulatorische Züge" zeigt.

Weiterlesen ...

Buch - Die Eigentumswohnung als Kapitalanlage

Citare

336 280 amazon buero