Eigenbedarf | BGH prüft Sozialklausel nach § 574 BGB

Im April 2019 wird sich der BGH in zwei Verfahren näher mit den Voraussetzungen der Sozialklausel in §§ 574 ff. BGB (Eigenbedarf) befassen. Die zu verhandelnden Fälle können sie hier nachlesen.

Fall 1: VIII ZR 180/18

In diesem Verfahren erhielt eine inzwischen über 80 Jahre alte Frau, die seit 1974 Mieterin einer etwa 73 qm großen Dreizimmerwohnung in Berlin ist und dort mit ihren erwachsenen Söhnen lebt, die Eigenbedarfskündigung.

Im Jahr 2015 erwarb der Käufer, der bislang mit seiner Ehefrau und seinen Kindern ebenfalls zur Miete in einer 57 qm großen Zweizimmerwohnung lebt, die Wohnung und erklärte kurze Zeit später gegenüber der Mieterin die Kündigung des Mietverhältnisses, da er diese Wohnung nunmehr mit seiner Familie selbst nutzen wolle. Langfristig sei geplant, diese Wohnung mit der benachbarten Wohnung (circa 65 qm) zu verbinden, die der Kläger ebenfalls erworben und bei der er das dort bestehende Mietverhältnis auch bereits gekündigt hat.

Das Amtsgericht hat die Eigenbedarfskündigung (§ 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB) des Klägers für wirksam erachtet. Das Landgericht hat die auf Räumung und Herausgabe gerichteten Klage abgewiesen. Es ist vom Vorliegen eines Härtefalls im Sinne von § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB ausgegangen und hat bestimmt, dass das Mietverhältnis der Parteien auf unbestimmte Zeit fortgesetzt werde (§ 574a Abs. 2 Satz 2 BGB).

Dabei seien unter anderem das hohe Alter, eine attestierte Demenzerkrankung, die mit der langen Mietdauer einhergehende Verwurzelung sowie die Schwierigkeiten bei der Beschaffung von bezahlbarem Ersatzwohnraum in Berlin zu berücksichtigen. Demgegenüber komme dem Interesse des Klägers als Eigentümer der Wohnung zwar ebenfalls erhebliches Gewicht zu. Vorliegend sei im Rahmen der Härtefallprüfung aber zu Lasten des Käufers maßgeblich darauf abzustellen, dass der Eigenbedarf bereits bei Erwerb der Wohnung absehbar gewesen sei und der Kläger zudem von vornherein mit dem Einwand von Härtegründen bei einer Kündigung habe rechnen müssen.

Fall 2: VIII ZR 167/17

In dem zweiten Verfahren sind die Beklagten seit 2006 Mieter einer Doppelhaushälfte, die sie gemeinsam mit dem volljährigen Sohn der Mieterin sowie dem Bruder des Mieters bewohnen.

Die beiden Eigentümer kündigten das Mietverhältnis mit der Begründung, dass eine Eigentümerin mit ihrem Lebensgefährten in die Doppelhaushälfte einziehen möchte, um ihre pflegebedürftige Großmutter, die in der Nähe des Anwesens wohne, besser unterstützen zu können. Die Mieter widersprachen der Eigenbedarfskündigung. Zum einen hätten die Kläger den Eigenbedarf nur vorgeschoben; Grund der Kündigung seien vielmehr Streitigkeiten über von den Beklagten gerügte Mängel der Wohnung. Zum anderen sei ihnen ein Umzug aufgrund der schweren Erkrankungen der Mieterin (Parkinson, Depression, chronische Wirbelsäulenbeschwerden, Grad der Behinderung 50%) und dem Bruder des Mieters (Pflegestufe II, alkoholkrank) nicht zumutbar.

Auch in diesem Verfahren haben die Vorinstanzen die Voraussetzungen einer Eigenbedarfskündigung (§ 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB) für gegeben erachtet. Das zwischenzeitliche Versterben der Großmutter der Eigentümerin sei unbeachtlich, da ein nachträglicher Wegfall des Kündigungsgrunds nur dann zu berücksichtigen sei, wenn - was hier nicht der Fall gewesen sei - dies vor Ablauf der Kündigungsfrist geschehe. Weiterhin könnten die Beklagten auch nicht die Fortsetzung des Mietverhältnisses nach § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB verlangen, da sich aus den von ihnen zur Begründung herangezogenen ärztlichen Attesten bezüglich der Mieterin und des Bruders nicht ergebe, dass der Umzug für diese aus medizinischer oder psychologischer Sicht unzumutbar sei und insbesondere zu einer drohenden schwerwiegenden Gesundheitsbeeinträchtigung oder Lebensgefahr führe.

Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 27. Februar 2019
Verhandlungstermine am 17. April 2019, 10.00 Uhr und 11.00 Uhr - VIII ZR 180/18 und VIII ZR 167/17

Urteile

Vollstreckung auch in Straßenschuhen

Überrascht war ein Limburger Gerichtsvollzieher, als er vor Betreten der Wohnung eines Schuldners seine Schuhe ausziehen sollte. Der türkische Mieter lies den Mann mit Schuhen nicht in die Wohnung und verwies darauf, dass dies in seinem Kulturkreis so üblich sei. Schlechte Karten hatte er damit vor dem Limburger Amtsgericht (NJW-RR 2012, 649 = NZM 2013, 383). Nach Meinung der Richter "konnte bislang zehntausendfach in Straßenschuhen vollstreckt werden, ohne dass deswegen objektivierbare negative Folgen bekannt geworden wären". Aus diesem Grund kann der Vollstreckungsschuldner nicht verlangen, dass der Gerichtsvollzieher vor der Wohnung seine Schuhe ausziehen muss.